Die Deutsche Rentenversicherung (DRV), die Künstlersozialkasse
(KSK) und auch die Krankenkassen prüfen, ob ein Ensemble-Mitglied,
egal ob Schauspielerin, Tänzerin oder Musiker, zu Recht auf Rechnung
arbeiten, also Honorar erhalten, oder ob der Künstler nicht vielmehr
angestellt werden müsste.
Kommt die DRV-Prüfung zu dem Ergebnis,
ja, der Künstler musste angestellt werden, muss die Unternehmerin
für 4 Jahre Sozialversicherungsbeiträge nachentrichten, also zum
Beispiel 150.000 €. Die Unternehmerin wird im Prüf-Abschlussgespräch
dann beteuern, dass ihr Unternehmen insolvent wird, wenn diese
Zahlung tatsächlich vollstreckt wird. Die DRV-Prüfer werden dann
beschwichtigen, nein, sie wollen nicht als Kultur-Mörder erscheinen.
Sie geben dann der Unternehmerin 5 Minuten Bedenkzeit, um eine
Zahlung anzubieten, mit der dann die Versäumnisse der Vergangenheit
aus der Welt geräumt seien. Die Unternehmerin bietet 30.000 € an,
was die Prüfer akzeptieren. Nach einigen Wochen kommt ein Brief, mit
dem die Vereinbarung besiegelt wird. Danach wird gezahlt. Und dann
muss überlegt werden, wie muss mein Unternehmen umstrukturiert
werden?
Zur Erinnerung: Wenn die Künstlerin tatsächlich
selbständig arbeitet, das heißt keinen Weisungen unterliegt, nicht
persönlich von ihrem Auftraggeber abhängig ist, wenn sie zum
Beispiel solo mit ihrem eigenen Kabarettprogramm auftritt, ist alles
gut. Wenn der Musiker aber in einem Ensemble arbeitet und das
Adventskonzert kein Potpourri aus lauter Solostückchen ist,
sondern gemeinsam Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ dargeboten werden,
wird es schwierig. Denn es gibt ja wahrscheinlich einen Chef, der
die Verträge mit den Kirchen macht, und möglicherweise viele
Weisungen erteilt, wie z.B. dass man bei diesen Konzerten doch
lieber den Kontrabass des Chefs mitnehme. Sollte bei einer Prüfung
ein solches Ensemble oder ein Theater/Spielstätte auffliegen, muss
der Arbeitgeber Sozialversicherungsabgaben und Lohnsteuer für all
diese Mitarbeiter für etliche Jahre (je nachdem 4 bis 30 Jahre)
nachzahlen – und er haftet dabei mit seinem Privatvermögen, egal, ob
eine GmbH oder ein e.V. dazwischen geschaltet sind.
Viele
„Chefs“ kommen deshalb auf die Idee, möglichst raffinierte Verträge
zu verwenden. Raffiniert klingt der Passus, „die beiden Parteien
sind sich einig, dass die Tätigkeit selbständig ausgeübt wird“,
bringt aber gar nichts. Ein guter Vertrag ist vorteilhaft, weil ein
Prüfer zunächst und gerne auf Grund von Papier urteilt. Aber gerade
ein solcher Passus soll doch eine tatsächlich völlig andere
Beschäftigungsform verschleiern. Also wird ein eifriger Prüfer gerne
weiter bohren und sich im Extremfall eine Probe anschauen. Und wenn
dann auf der Probe der Intendant dem Ensemble verkündet, dass die
Probe morgen eine halbe Stunde eher beginnt, dann ist das eben ein
gewichtiger Hinweis darauf, dass es sich in Wirklichkeit um eine
abhängige Beschäftigung handelt.
Also werden solche Künstler
dann eben von ihren Chefs angestellt, entweder auf Minijob-Basis,
oder als unständig oder als kurzfristig Beschäftigte mit erheblichen
Nachteilen für ihre Sozialversicherung. Aber festangestellt werden
Schauspieler oder Musiker in der Freien Szene nur ganz selten, weil
es zu teuer ist.
Die Öffentliche Hand, die Stiftungen
wollen, dass mit möglichst wenig Geld möglichst viel gute Kultur
produziert wird. Und auch Künstler wollen, dass möglichst viele von
ihnen viele Auftritte haben, aber sie wollen auch wenigstens so
ungefähr von ihrer Kunst leben. Die Öffentliche Hand kann aber nicht
einerseits die fast schon kriminelle Reduzierung in den
Personalkosten der Zuschussanträge durch freundliche kleine
Zuschüsse noch befördern und zu einer weiteren Abwärtsspirale in der
sozialen Absicherung beitragen, andererseits aber den
Sozialversicherungsprüfern politische Vorgaben machen, die die
Zuschussempfänger in den Konkurs treiben und sogar straffällig
werden lassen.
Übrigens: Der Freistaat Bayern geht einen
erfreulich anderen Weg: Wenigstens Betriebskostenzuschüsse werden an
die Auflage gekoppelt, dass alle künstlerischen Mitarbeiter
festangestellt werden. Und auch das Land Bremen, der Berliner Senat will
möglicherweise die Mittel für die Theater aufstocken, die auf Grund
einer Statusklärung durch die DRV ihre Schauspieler festanstellen
müssen. Diese Bundesländer achten bei (etatisierten!)
Betriebskostenzuschüssen von Kulturbetrieben darauf, dass die
Mitarbeiter von ihrer Arbeit leben können und nachhaltig sozial
abgesichert sind. Das führt dazu, dass die Rechtskonstruktion mit
einer juristischen Person und angestellten Künstlern eine
Voraussetzung für die Förderung wird und GbR-Lösungen abgelehnt
werden. Ob eine wirklich verbesserte soziale Absicherung nur durch
ein Anstellungsverhältnis erreicht werden kann, wage ich zu
bezweifeln. Mit der Summe X in Form eines etatisierten Zuschusses
kann mit Honoraren bzw. Gewinnausschüttungen an Gesellschafter ein
wesentlich größerer Erfolg in der Einkommensverbesserung erzielt
werden.
In der Regel wird aber die „Chefin“ nicht genügend
Geld auftreiben können, um ordentliche Arbeitsbedingungen anbieten
zu können.
Auch die „Honorar-Lösung“ mit besonders raffinierten
Honorar-Verträgen wird bei vielen Unternehmen nicht funktionieren.
Also denkt sie an dritte Möglichkeit, die „GbR-Lösung“:
„GbR-Lösung“ bedeutet, dass am besten alle Mitglieder des Theater-,
Tanz- oder Musik-Ensembles Gesellschafter einer Gesellschaft
bürgerlichen Rechts werden und die Performance bzw. das Konzert
selbst produzieren, also inszenieren, ausstatten und bis zur
Premierenreife proben. Die Premiere und alle folgenden Auftritte
werden dann von der GbR an eine oder besser an mehrere Spielstätten
verkauft. Das hat den Vorteil, dass alle Gesellschafter in der Regel
völlig legal Selbständige sind und relativ preiswert über die
Künstlersozialkasse (KSK) versichert werden können. Für den „Chef“
(also den Spielstätteninhaber) hat das den Vorteil, dass er der
Prüfung durch die DRV gelassen entgegen sehen kann, denn er hat
keine Mitarbeiter, die er vielleicht doch anstellen müsste.
Honorar zahlt er nur an eine (oder mehrere) GbR und das ist legal.
Dafür muss er nur die KSK-Abgabe entrichten für vergleichsweise
geringe ca. 4 Prozent.
Wo aber sind die Pferdefüße?
Warum ist die GbR kein Allheilmittel?
Der
Spielstätten-Inhaber kann der GbR keine künstlerischen Direktiven
erteilen, er kann weder die Zusammensetzung des Ensembles regeln,
noch Inszenierungsfragen entscheiden, noch die finanzielle
Verteilung innerhalb der GbR vornehmen. Das wird in der Praxis zwar
oft anders sein, aber dann könnte ein Prüfer zu der Ansicht kommen,
dass die „GbR-Lösung“ missbräuchlich benutzt wurde.
Also muss
der Spielstätten-Inhaber sehr frühzeitig einem möglicherweise in der
Gründungsphase befindlichen Ensemble einen Auftrag geben für die
Produktion einer Premiere und sich dann nur noch raushalten (und das
nötig Geld akquirieren). Ob er das will und kann? Vielleicht ist er
ja nicht nur Inhaber sondern auch das Herzblut des ganzen Orchesters
oder Theaters?
Für die Gesellschafter gibt es ebenfalls einige
Stolpersteine: Viele Künstler haben nie gelernt, was eine GbR
bedeutet, welche Rechte und Pflichten für jeden einzelnen daraus
entstehen. Sie wissen nicht, wie man eine GbR gründet, wo die Fallen
stecken. Sie haben kein betriebswirtschaftliches Knowhow, können
keine Buchführung lesen, geschweige denn erstellen, können keine
Steuererklärung beim Finanzamt vornehmen. Stellen wir uns vor, eine
22-jährige brasilianische Tänzerin wird gebeten, für 3 Monate in
einer Tanz-GbR mitzumachen – sie kann ja noch nicht einmal genug
Deutsch, um den Vertrag zu verstehen! Und dann soll sie noch für all
den Mist haften, den möglicherweise die anderen Gesellschafter zu
verantworten haben, nur weil ihr Vater eine Hazienda hat! Und die
Musiker haben auch nie gelernt, einen Dirigenten auszuwählen und ihn
mit der Einstudierung zu beauftragen. Und die Schauspieler müssen
erst mühsam herausfinden, wie sie einer Kostümbildnerin ihre
Aufträge zeitsparend erläutern.
Nun ja, diese Stolpersteine
lassen sich im Laufe der Zeit aus dem Weg räumen und für vieles
lässt sich Hilfe finden, aber es wird vielleicht klar, dass die
GbR-Lösung nur für relativ kleine Produktionen mit geringem Aufwand
und Risiko in Frage kommt.
Für größere Produktionen mit
professionellem Anspruch, die auch auf dem Markt eine Chance haben,
braucht es die Festanstellung und dafür braucht es mehr Geld. Und
dafür müssen sich Künstler und „Chefs“ gemeinsam stark machen – mit
ihren Lobby-Verbänden. Die Replik „Tja, das Problem ist bekannt“
klingt da doch reichlich zynisch.
Die bisherige Rechtsprechung zur Scheinselbständigkeit wurde
Gesetz. Der neue § 611a BGB trat am 1.4.2017 in Kraft. Vorläufer
dieses Gesetzesvorhabens waren der „Entwurf eines Gesetzes zur
Bekämpfung der Scheinselbständigkeit“ (1997) und das „Gesetz zur
Förderung der Selbständigkeit“ (1999). Der Titel des Gesetzes und
die bisherige Diskussion lassen nicht vermuten, dass die für den
Kulturbereich wichtige Frage der Scheinselbständigkeit berührt wird.
Die Einführung des § 611 a BGB definiert, was ein
Arbeitnehmer ist. Im Umkehrschluss wird damit auch definiert, was
einen Selbständigen ausmacht. Die bisherige Rechtsprechung wird
kodifiziert.
In der Bundestagslesung am 22.9.16 hat als
einzige die MdB Beate Müller-Gemmeke von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen dieses Thema überhaupt angeschnitten und u.a. bedauert, dass
eine Chance vertan wird, Regeln zu finden, die die „echten
Selbstständigen in ihrer Tätigkeit nicht behindern“.
Ja, das
Problem ist irgendwie bekannt.
umgebaut und aktualisiert 17.1.2019 17.10.2016
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