Gelegentlich taucht die Frage auf, ob man sich vertreten
lassen kann.
Im Sozialversicherungsrecht
geht es dabei um die Frage, ob man Selbständiger ist oder
Arbeitnehmer.
Im Sozialgerichtsurteil Frankfurt / M. S 9
Kr-71 / 84 wird unter 9 gefragt: Besteht die Verpflichtung zur
persönlichen Dienstleistung, oder ist es möglich, sich vertreten zu
lassen und Hilfskräfte einzusetzen?
Normalerweise deutet die Verpflichtung zur
persönlichen Dienstleistung auf den Arbeitnehmer-Status hin, und die
Möglichkeit zur Vertretung (ich gebe meine Schuhe beim Schuster
ab und erwarte nicht, dass der Chef sie neu besohlt) auf den
Status "Selbständiger".
Aber die Arbeitsgruppe
„Sozialversicherung“ des Bundesverbandes Freier Theater hat vor einigen
Jahren folgende „Standardantwort“ entwickelt:
„Die Mitarbeit
im Theater geschieht freiwillig. Durch die originäre Leistung des
Künstlers ist es nicht möglich, diese Arbeit durch Hilfskräfte oder
Vertretungspersonal leisten zu lassen. De facto existiert natürlich
eine moralische Verpflichtung des Künstlers, keinesfalls aber eine
formelle, seine Leistung zu erbringen. Manche Verträge sehen vor,
dass der Künstler im Falle des vorzeitigen Ausscheidens berechtigt
oder sogar verpflichtet ist, einen Ersatz zu stellen.“
Vgl.
Kuntz: Survival Kit , Kap. 6.1.11
Diese abweichende Meinung
unterstützt auch der Kommentar zum KSVG:
Wenn man im
Theaterbereich vertreten werden kann, also austauschbar ist,
eine „Tätigkeit ausübt, die von einer Mehrzahl von Personen ausgeübt
werden“ kann (Chorsänger, Komparsen, Schauspieler „sofern die Rolle
oder die Tätigkeit ein anderer übernehmen kann“) ist man
Arbeitnehmer, s.u..
Wenn man nicht vertreten werden kann, außerdem
selbst ein unternehmerisches Risiko trägt, eine eigene
Betriebsstätte hat und seine Arbeit nach Ort, Zeit und Dauer frei
gestalten kann, ist man Selbständiger.
Siehe auch KSVG-Kommentar
von Finke/Brachmann/Nordhausen RdNr 77-83 zu § 24: „Zu den nicht
vertretbaren Funktionen gehören die des Leiters des Ensembles (z.B.
Regisseur und Dirigent) und die des „Stargasts“. (Siehe auch das
Kapitel „Scheinselbständigkeit“ im Survival Kit Kap. 6.1.11.1)
Das Sozialgericht Heilbronn hat festgestellt, dass in Hinsicht
auf Musiklehrer, die an einer städtischen Musikschule als
Honorarkräfte beschäftigt wurden, die Verpflichtung zur
höchstpersönlichen Leistung durch den Musiklehrer kein Anhaltspunkt
für Scheinselbständigkeit ist: Bei einer künstlerischen Leistung sei
die Auftragsvergabe regelmäßig an die individuellen Fähigkeiten
des Auftragnehmers geknüpft. Außerdem sei ein Wechsel der Lehrkräfte
auch aus pädagogischen Gründen nicht gewünscht.
Es geht weniger um das, was
auf dem Papier steht, sondern wie es in der Gesamtschau und im Arbeitsablauf praktisch
aussieht.
Anders im Steuerrecht:
Im § 18 EStG heißt es
nach der Aufzählung der freiberuflichen Tätigkeiten:
„Ein
Angehöriger eines freien Berufs ist auch dann freiberuflich tätig,
wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte
bedient; Voraussetzung ist, dass er auf Grund eigener Fachkenntnisse
leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Eine Vertretung im Fall
vorübergehender Verhinderung steht der Annahme einer leitenden und
eigenverantwortlichen Tätigkeit nicht entgegen.“
Damit soll
von einem Gewerbebetrieb abgegrenzt werden, der dann vorliegt, wenn
der Freiberufler sich häufig vertreten lässt, nicht mehr leitet und
keine Verantwortung mehr für die Erledigung des Auftrags übernehmen
kann. (Übersetzungsbüro mit einer Vielzahl von Übersetzern in
Sprachen, die der Chef nicht beherrscht).
Und schließlich
spielt die Frage der Vertretung im Zivilrecht, im
Vertragsrecht eine Rolle:
Wird ein Künstler mit
seinem Programm für ein Gastspiel engagiert, ist es klar, dass die
persönliche Interpretation des Künstlers gefragt ist und er sich
nicht gegen den Willen des Veranstalters vertreten lassen kann.
Besonders vorsichtige Veranstalter machen die Besetzungsliste zum
Vertragsbestandteil.
Und auch bei Konflikten unter den
Gesellschaftern in GbR’s geht es manchmal um das Recht auf
Vertretung durch Dritte oder die Pflicht, einen (genehmen)
Nachfolger zu stellen. Dazu ein Beispiel: Wird eine Schauspielerin
als Gesellschafterin einer GbR während der Produktion schwanger und
sie kann deshalb nicht mehr mitarbeiten, so ist die Frage, war die
Schwangerschaft vorhersehbar und hätte die Schauspielerin dies
ankündigen müssen oder ist die Schwangerschaft etwa „unverschuldete
Verhinderung“, die sie von einer Schadenersatzpflicht freispricht
(es ist klar, Schwangerschaft ist keine Krankheit [anders bei
Schwangerschaftskomplikationen oder während des Mutterschutzes],
also keine höhere Gewalt, aber planbar ist sie auch nur in Grenzen
und ob die totale Kontrolle der Fruchtbarkeit so gewollt ist, ist
eine noch viel kompliziertere Frage!). Daran schließt sich die
Frage an, ob sie sich vertreten lassen kann, d.h. ob sie für einen
Ersatz sorgen muss und dessen Einarbeitung (zusätzliche Proben)
bezahlen muss. Das Recht oder die Pflicht, bei Ausscheiden einen
(genehmen) Nachfolger (etwa wie in einer Wohngemeinschaft, die ja
auch eine GbR ist) zu benennen, kann in einem GbR-Vertrag verankert
werden. Jedoch halte ich dies in künstlerisch tätigen GbR’s für kaum
praktikabel, denn über die Frage, wer genehm ist, kann mann und frau
sich so wunderbar streiten! Eine Schiedskommission wäre dann gut.
Wenn die Schauspielerin wegen der Schwangerschaft kündigt, stellt
sich die Frage, ob die Kündigung zur Unzeit erfolgte mit der daraus
resultierenden Pflicht, den restlichen Gesellschaftern, den
entstehenden Schaden zu ersetzen (BGB § 723, 2) oder ob die
Kündigung nach § 723, 1 aus wichtigem Grund erfolgte. Aber auch,
wenn die Rest-GbR sie ausschließen will (§ 737), weil sie eine
hochschwangere „LULU“ bei der Premiere nicht für möglich hält und
außerdem die folgende Tournee nur umbesetzt durchgeführt werden
kann, tauchen diese Fragen auf.
Statt „Schwangerschaft“ können
als Konfliktauslöser auch beliebig andere Faktoren eingesetzt
werden: künstlerische Differenzen, Tod eines nahen Angehörigen, neue
Liebeskonstellationen im Ensemble etc.
Meine Erfahrung zeigt,
dass sich diese Fragen, die daraus resultierenden Probleme durch
eine vertragliche, prophylaktische Regelung kaum mildern lassen,
sondern dass es sehr wichtig ist, eine Atmosphäre zu pflegen, die es
möglich macht, diese Fragen beim Auftauchen einvernehmlich zu lösen.
Dazu kann auch eine Schiedskommission oder eine Mediation beitragen,
sofern sie rechtzeitig vereinbart wird.
Und wichtig ist es
sicher, GbR’s nur mit Leuten zu gründen, die man gut kennt.
Ad-hoc-Formationen taugen dazu nicht. (Ja, aber manchmal geht es
nicht anders!)
Und dann stellt sich die Frage des
Vertretungsrechts oder der Vertretungspflicht erst gar nicht.

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Alle Rechte: Stefan Kuntz
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