Künstlerberatung Stefan Kuntz

Darf ich mich vertreten lassen? Oder muss ich den Auftrag selbst erledigen? (Special)


Gelegentlich taucht die Frage auf, ob man sich vertreten lassen kann.
 
Im Sozialversicherungsrecht geht es dabei um die Frage, ob man Selbständiger ist oder Arbeitnehmer.
Im Sozialgerichtsurteil Frankfurt / M. S 9 Kr-71 / 84 wird unter 9 gefragt: Besteht die Verpflichtung zur persönlichen Dienstleistung, oder ist es möglich, sich vertreten zu lassen und Hilfskräfte einzusetzen?

Normalerweise deutet die Verpflichtung zur persönlichen Dienstleistung auf den Arbeitnehmer-Status hin, und die Möglichkeit zur Vertretung (ich gebe meine Schuhe beim Schuster ab und erwarte nicht, dass der Chef sie neu besohlt) auf den Status "Selbständiger".


Aber die Arbeitsgruppe „Sozialversicherung“ des Bundesverbandes Freier Theater hat vor einigen Jahren folgende „Standardantwort“ entwickelt:

„Die Mitarbeit im Theater geschieht freiwillig. Durch die originäre Leistung des Künstlers ist es nicht möglich, diese Arbeit durch Hilfskräfte oder Vertretungspersonal leisten zu lassen. De facto existiert natürlich eine moralische Verpflichtung des Künstlers, keinesfalls aber eine formelle, seine Leistung zu erbringen. Manche Verträge sehen vor, dass der Künstler im Falle des vorzeitigen Ausscheidens berechtigt oder sogar verpflichtet ist, einen Ersatz zu stellen.“
Vgl. Kuntz: Survival Kit , Kap. 6.1.11

Diese abweichende Meinung unterstützt auch der Kommentar zum KSVG:
Wenn man im Theaterbereich vertreten werden kann, also austauschbar ist, eine „Tätigkeit ausübt, die von einer Mehrzahl von Personen ausgeübt werden“ kann (Chorsänger, Komparsen, Schauspieler „sofern die Rolle oder die Tätigkeit ein anderer übernehmen kann“) ist man Arbeitnehmer, s.u..
Wenn man nicht vertreten werden kann, außerdem selbst ein unternehmerisches Risiko trägt, eine eigene Betriebsstätte hat und seine Arbeit nach Ort, Zeit und Dauer frei gestalten kann, ist man Selbständiger.
Siehe auch KSVG-Kommentar von Finke/Brachmann/Nordhausen RdNr 77-83 zu § 24: „Zu den nicht vertretbaren Funktionen gehören die des Leiters des Ensembles (z.B. Regisseur und Dirigent) und die des „Stargasts“. (Siehe auch das Kapitel „Scheinselbständigkeit“ im Survival Kit Kap. 6.1.11.1)

Das Sozialgericht Heilbronn hat festgestellt, dass in Hinsicht auf Musiklehrer, die an einer städtischen Musikschule als Honorarkräfte beschäftigt wurden, die  Verpflichtung zur höchstpersönlichen Leistung durch den Musiklehrer kein Anhaltspunkt für Scheinselbständigkeit ist: Bei einer künstlerischen Leistung sei die Auftragsvergabe regelmäßig an die individuellen Fähigkeiten des Auftragnehmers geknüpft. Außerdem sei ein Wechsel der Lehrkräfte auch aus pädagogischen Gründen  nicht gewünscht.

Es geht weniger um das, was auf dem Papier steht, sondern wie es in der Gesamtschau und im Arbeitsablauf praktisch aussieht.
 
Anders im Steuerrecht:
Im § 18 EStG heißt es nach der Aufzählung der freiberuflichen Tätigkeiten:
„Ein Angehöriger eines freien Berufs ist auch dann freiberuflich tätig, wenn er sich der Mithilfe fachlich vorgebildeter Arbeitskräfte bedient; Voraussetzung ist, dass er auf Grund eigener Fachkenntnisse leitend und eigenverantwortlich tätig wird. Eine Vertretung im Fall vorübergehender Verhinderung steht der Annahme einer leitenden und eigenverantwortlichen Tätigkeit nicht entgegen.“

Damit soll von einem Gewerbebetrieb abgegrenzt werden, der dann vorliegt, wenn der Freiberufler sich häufig vertreten lässt, nicht mehr leitet und keine Verantwortung mehr für die Erledigung des Auftrags übernehmen kann. (Übersetzungsbüro mit einer Vielzahl von Übersetzern in Sprachen, die der Chef nicht beherrscht).
 
Und schließlich spielt die Frage der Vertretung im Zivilrecht, im Vertragsrecht eine Rolle:
Wird ein Künstler mit seinem Programm für ein Gastspiel engagiert, ist es klar, dass die persönliche Interpretation des Künstlers gefragt ist und er sich nicht gegen den Willen des Veranstalters vertreten lassen kann. Besonders vorsichtige Veranstalter machen die Besetzungsliste zum Vertragsbestandteil.
Und auch bei Konflikten unter den Gesellschaftern in GbR’s geht es manchmal um das Recht auf Vertretung durch Dritte oder die Pflicht, einen (genehmen) Nachfolger zu stellen. Dazu ein Beispiel: Wird eine Schauspielerin als Gesellschafterin einer GbR während der Produktion schwanger und sie kann deshalb nicht mehr mitarbeiten, so ist die Frage, war die Schwangerschaft vorhersehbar und hätte die Schauspielerin dies ankündigen müssen oder ist die Schwangerschaft etwa „unverschuldete Verhinderung“, die sie von einer Schadenersatzpflicht freispricht (es ist klar, Schwangerschaft ist keine Krankheit [anders bei Schwangerschaftskomplikationen oder während des Mutterschutzes], also keine höhere Gewalt, aber planbar ist sie auch nur in Grenzen und ob die totale Kontrolle der Fruchtbarkeit so gewollt ist, ist eine noch viel kompliziertere Frage!). Daran schließt sich die Frage an, ob sie sich vertreten lassen kann, d.h. ob sie für einen Ersatz sorgen muss und dessen Einarbeitung (zusätzliche Proben) bezahlen muss. Das Recht oder die Pflicht, bei Ausscheiden einen (genehmen) Nachfolger (etwa wie in einer Wohngemeinschaft, die ja auch eine GbR ist) zu benennen, kann in einem GbR-Vertrag verankert werden. Jedoch halte ich dies in künstlerisch tätigen GbR’s für kaum praktikabel, denn über die Frage, wer genehm ist, kann mann und frau sich so wunderbar streiten! Eine Schiedskommission wäre dann gut. Wenn die Schauspielerin wegen der Schwangerschaft kündigt, stellt sich die Frage, ob die Kündigung zur Unzeit erfolgte mit der daraus resultierenden Pflicht, den restlichen Gesellschaftern, den entstehenden Schaden zu ersetzen (BGB § 723, 2) oder ob die Kündigung nach § 723, 1 aus wichtigem Grund erfolgte. Aber auch, wenn die Rest-GbR sie ausschließen will (§ 737), weil sie eine hochschwangere „LULU“ bei der Premiere nicht für möglich hält und außerdem die folgende Tournee nur umbesetzt durchgeführt werden kann, tauchen diese Fragen auf.
Statt „Schwangerschaft“ können als Konfliktauslöser auch beliebig andere Faktoren eingesetzt werden: künstlerische Differenzen, Tod eines nahen Angehörigen, neue Liebeskonstellationen im Ensemble etc.
Meine Erfahrung zeigt, dass sich diese Fragen, die daraus resultierenden Probleme durch eine vertragliche, prophylaktische Regelung kaum mildern lassen, sondern dass es sehr wichtig ist, eine Atmosphäre zu pflegen, die es möglich macht, diese Fragen beim Auftauchen einvernehmlich zu lösen. Dazu kann auch eine Schiedskommission oder eine Mediation beitragen, sofern sie rechtzeitig vereinbart wird.
Und wichtig ist es sicher, GbR’s nur mit Leuten zu gründen, die man gut kennt. Ad-hoc-Formationen taugen dazu nicht. (Ja, aber manchmal geht es nicht anders!)
Und dann stellt sich die Frage des Vertretungsrechts oder der Vertretungspflicht erst gar nicht.

 

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zuletzt aktualisiert: 6.4.2017